Wespen

Nachdem Wespen im 14. oder 15. Jahrhundert wüst wurde, setzt die Ortsgeschichte  erst wieder mit Ansiedlung der böhmischen Glaubensflüchtlinge (sog. Exulanten) Ende des 17. Jahrhunderts ein.

Den geschichtlichen Hintergrund bildet die Reformation in Deutschland, die mit der Veröffentlichung von Luthers Thesen im Jahr 1517 begann. Es folgten Jahrzehnte kriegerischer Auseinandersetzungen die erst mit dem Westfälischen Friede im Jahr 1648 endete.

Im Zuge der Gegenreformation verloren die böhmischen Protestanten ab 1619 unter Kaiser Ferdinand  II. ihre zuvor zugesicherten Rechte und erlebten die schlimmste Verfolgung. So wurden Ihnen die Kirchen weggenommen und die Geistlichen verfolgt. Protestantische Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und in katholischen Klöstern erzogen. Man entzog den Verfolgten das Bürgerrecht und untersagte ihnen ihr Handwerk zu treiben[1].

Die anfängliche Erlaubnis auszuwandern wurde später zurückgenommen, als man sah, wie tausende Protestanten Böhmen in Richtung Sachsen verließen. Die Exulanten der ersten Auswanderungswellen (besonders die Wohlhabenden unter Ihnen) konnten Ihr Hab und Gut mitnehmen und wurden vom protestantischen Sachsen freundlich aufgenommen. Mit zunehmender Auswandererzahl wurden die Übersiedler jedoch für Sachsen zum Problem, was dazu führte, dass sie weiter ins Landesinnere verteilt wurden. Die letzten Übersiedlungen geschahen gegen das bestehende Verbot bei „Nacht und Nebel“. Diese Exulanten besaßen meist nur noch das, was sie am Leibe trugen.

Im Jahre 1668 meldeten sich nun durch ihren Prediger Georg Holyk bei dem Herzog August, welcher die Grafschaft Barby nach dem Aussterben der Grafen von Barby in Besitz hatte, ca. 200 böhmische Exulanten. Diese gaben an, dass Sie aus Böhmen ihres Glaubens willen vertrieben wären und in Zittau eine vorläufige Unterkunft gefunden hätten. Die Böhmen baten den Herzog, ihnen wüste Plätze in seinem Lande anzuweisen, welche sie gegen Erteilung gewisser Privilegien anbauen und sich dort niederlassen wollten. August fand dieses Anerbieten seinem Lande zuträglich und erließ daher an den Rat und Amtmann Marconett zu Barby ein Schreiben (1.10.1668), in dem er ihn ersuchte, den böhmischen Exulanten Wohnsitz anzuweisen.

Viele Mühen und Reisen hatte der Pfarrer Holyk mit seinen Landsleuten, ehe es ihm gelang, dieselben in Wespen unterzubringen, wie aus einer späteren sehr interessanten Rechnung (welche in der beigefügten Zeitung von Barby's Türmen [W. 7 1934] abgedruckt) ersichtlich ist.

Pfarrer Holyk reiste im Frühjahr 1668 von Zittau nach Halle, um beim Herzog eine Siedlungsstelle für seine Landsleute zu erfragen. Nach empfangenem Bescheid schicke er seinen Diener nach Zittau, dass die Böhmen drei von den ihren senden möchten und sich einen Siedungsplatz bei Rosenburg oder Hetdrungen (Anm: Heldrungen?) anzusehen. Im Juli 1668 reiste Holyk mit den Böhmen nach Rosenburg und von dort wieder nach Halle zum Herzog, um sich die Freizeiten Privilegien für seine Landsleute schriftlich geben zulassen. Mit einer Copia und Brief schickte er nun seinen Diener nach Zittau zu den Böhmen.

Am 27. September 1668 reiste Holyk von seinen jetzigen Aufenthaltsort Wittenberg nach Halle und erhielt vom Herzog die Auskunft, dass die Böhmen in Rosenburg oder Barby aufgenommen würden. Es waren erst die wüsten Dorfstellen Cyparehne und Trebbau vorgesehen. Hiergegen wehrten sich jedoch die Barbyer Bürger mit Erfolg.

Im Juni 1669 sind die Böhmen dann in Barby eingetroffen, auch Pfarrer Holyk trat am 27. Juni 1669 sein Amt an und mietete sich in Barby eine Wohnung. Die Böhmen  wurden notdürftig in leerstehende Wohnungen untergebracht. Nach einer Mitteilung gab es um die damalige Zeit noch 13 leerstehende herrenlose Wohnsitze.

Am 29. Oktober 1669 kam vom Herzog der Bescheid, falls es nicht in den Feldmarken Trebbau oder Cyparehne geht, ist den Flüchtlingen ohne Verzug die Feldmark Wespen anzuweisen. Die böhmischen Exulanten waren sehr arm und der Magistrat von Barby musste ihnen sogenannte Bettelbriefe ausstellen. Auch gab es bald Streitigkeiten zwischen ihnen und den Barbyern und von beiden Seiten wurden Beschwerden zum Herzog gesandt, die Böhmen beklagen sich, dass ihnen noch keine Stellen zum Häuserbau angewiesen sind und das die Barbyer lieber Fenster und Ofen aus ihren Gelassen rissen, als das sie ihnen gegen billigen Zins Unterkunft gewährten. Die Barbyer beschwerten sich, dass sie durch die Wegnahme der Wespener Feldmark bedeutenden Schaden hatten, und es bedürfte über diesen Punkt längerer Verhandlungen mit den Behörden.

Im Frühjahr 1670 wurde nun mit den Häuserbau in Wespen begonnen. Diese waren jedenfalls sehr armselig, denn in einem Schreiben werden sie als elende Hundehütten bezeichnet. Zu aller Not brach am 6. Juli 1670 der Saaledamm bei Werkleitz durch und das Hochwasser riss das mühsam erbaute wieder fort. Pfarrer Hartrauft aus Barby hatte mit Bezug auf dieses Unglück in einer Predigt gesagt:

"Darum ist es ein gar übel fürnehmen, daß man allhier aufs Feld bauen will. Wer sicher sein will der baue auf den Brockenberg, hier zu Barby wird es ihm verderbst."

Die Böhmen beschwerten sich wegen dieser Rede und Hartrauft erhielt eine Verwarnung.

Am 2. September 1670 waren schon 8 Häuser gebaut, 3 sollten in dem Jahre noch gebaut werden. Vorgesehen waren 5 Halbspänner mit 1 ½ Hufen = 45 Morgen und 10 Kossathen mit ¼ Hufen = 7 Morgen. Die Siedler sollten 6 Freijahre haben. Die Gebäude waren jedenfalls im Jahre 1672 noch gering und armselig, denn in diesem Jahre erfolgte eine Anweisung des Herzogs an seinen Forstmeister, dass sich die Böhmen könnten Holzstämme zum Bau der Häuser und Ställe aus dem Döbritzer Forst holen. Zugleich wurde bestimmt, dass die Halbspänner 20 Stämme und die Kossathen 15 Stämme erhalten sollten. Wer mehr haben wollte musste dieselben bezahlen.

Indessen müssen sich die Eingewanderten Böhmen eben nicht beliebt gemacht und nicht gut mit den Bürgern vertragen haben, denn es findet sich, dass der Rat von Barby sich veranlasst sah, nach Zittau an den dortigen Rat zu schreiben und diesen um Aufklärungen über diese Einwanderer unter Beifügung des Namensverzeichnisses zu bitten. In diesem Schreiben vom 2. August 1672 wird sich bitter über die Fremden beklagt. Der Rat Barby, hatte nämlich in Erfahrung gebracht, dass die Auswanderer schon vor etwa 20 Jahren Böhmen verlassen hatten und sich eine Zeitlang in Zittau aufgehalten haben sollen.

In Barby wollte man nun gern wissen, wie lange sich genannte Leute schon in Zittau aufgehalten, was ihr Gewerb und Hantierung gewesen, was sie davon an Jährlichem entrichtet, ob sie dort der Obrigkeit gehorsam gewesen, absonderlich, ob sie wegen der Religion oder aber mehr wegen einiger Leibeigenschaft, damit sie in ihrem Lande und unter ihrer Herrschaft belegt gewesen, aus Böhmen entwichen, am allermeisten aber, aus welcher Ursache sie ihren Ort verlassen mussten. Namen der also genannten böhmischen Exulanten:

Georg Haubotke, Mathes Werdeck, George Wieder, Jacok Sedan, Nikolaus Banik, Thomas Viesel, Barthel Branel, Nicolaus Vogel, Paul Friedrich, Andreas Bock, Marten Hardecke, Mathias Ortel, Georg Fleischer, Valleis Steiner, Mathes Toine, Jacob Lutheniz, Mathias Ruhle, George Ihle, Mathias Bredt, Wenzel Jung, Jacob Unterschall, Wenzel Gall, Wenzel Schönan, Hans Partek, Hans Martelki, Martin Weiner, Albrecht Semhorn, Hans Purgan, Christoph Neselan, Jacob Luschitzschki, Wenzel Krieg, Jacob Jabonutzschki, Wenzel Spiewenacky.

Hierauf antwortet unter dem 3. September 1672 der Zittauer Rat:

„Es ist ihnen mit allem Ernst angedeutet worden, dafern es ihnen mit der Religion ein rechter Ernst sei, sollen sie sich nicht so nahe an den Böhmischen Grenzen enthalten, sondern sich weiter ins Land hineinbegeben, damit sie desto sicher seinen.

Allein dessen ungeachtet, seinen nicht allein solche alten Emigranten kleben geblieben, sondern es sind auch wohl derselben nach und nach unvermerkt mehr nachgefolget. Ihr Gewerb und Handtierung betreffend haben sich derselben viel des Jahres mehrmalen, sonderlich zur Saat- und Erntezeit wiederrum in Böhmen eingewandert, daselbst gearbeitet und zur Winterzeit sich allhier eingefunden, teils haben in Böhmen Victualien an sich gebracht und an anderen Orten wiederum verkauft. Unterschiedliche sind bei uns der tagearbeit nachgegangen, ihrer auch nicht wenig mit den Ihrigen sich nur aufs Betteln gelegt, uns so woll uns (denn sie an Holtze in unseren Wäldern nicht geringen Schaden gethan) als der ganzen Bürgerschaft viel molestien verursachtet. On ihnen auch gleich etwas weniges zu denen allgemeinen Anlagen beizutragen auferlegt worden, so sind sie doch, weil sie so vagabunti und bald hier, bald in Böhmen sich befunden, und ihre gemietete Wohnung öfters vor Endert, sehr schwer zu einer Abgabe zu bewegen gewest, oder haben sich mit vielen lamentieren, wegen vorgeschützten Unvermögens, solcher anlagen entbrochen.

Warum nun Unterschiedene dieser Böhmen sich nachher Sachsen gewandt haben möchten, solches ist zwar aus keinem Gebohtt sich allhier weg zu begeben, geschehen, sondern die größte Ursache mogt wohl Herr Jacob Möller gegeben haben, welcher anno 1671 von Domitsch, da er Diaconus soll gewesen sein, anhere kommen und solchen Böhmischen leuten an Sonn- und Feiertagen in einem gemietheten Haus eine Predigt gehalten. Dieser hat seinen Zuhörern vorgetragen, es hätten sich ihre hochfürstliche Durchlaucht solchen leuten nebenst anderen Freiheiten, das Dorf und andere verwüstete Dörfer einräumen und einen eigenen Böhmischen Pfarrer ihnen vergönnen, maßen er auch selber sich dahin wenden wollte, welches auch hernach erfolget. Hierzu mag auch diese Ursache kommen, daß weil etliche Herrschaften aus dem Königreich Böhmen ihre Unterthanen, so eben nicht der Religion halben, sondern aus anderen Ursachen, insonderheit der Leibeigenschaft zu entbrechen, entwichen, allhier angetroffen u.s.w.

Signatum Zittau am 3. September Anno 1672

Bürgermeister und Rathmann daselbst.

Dem Ehrenwerten Gros- und Verachtbaren Wohlgearten und Wohlweisen Herren Bürgermeister und Rathmannen der Stadt Barby

Unseren insbesondere vielgunstigen Herren usw.“

Nachdem nun solche Antwort angelangt war, wandte sich der Rat in einem undatierten Schreiben, bei dem auch nicht das Jahr bemerkt worden, welches aber nach Ablauf des Jahres 1672 geschrieben sein muss, mit Klagen über die Böhmen um Bitten für die Barbyschen Bürger an den Herzog. Hier brechen die Nachrichten über diesen Gegenstand ab.

Um zu vermeiden, dass sich die Siedler übermäßig viel Vieh halten, welche die vorhanden Weiden nicht ernähren konnten wurde bestimmt, dass sich Halbspänner  2 Kühe und 2 Kälber sowie 25 Stück Schafe halten, den Kossathen wurde dagegen 1 Kuh und 1 Kalb zugebilligt. Trotz der geringen Anzahl an Vieh gab es bald Streitigkeiten wegen der Weidegerechtigkeit.

Am 20. September 1687 erfolgte eine genaue Beschreibung der Grenzen, bis zu der Wespener hüten dürften. Auch bekommen sie die Erlaubnis die Iritzer Tränke mitzubenutzen. Jedoch sollten sie dieselben allemal mit räumen helfen:

Ist den Einwohnern zu Wöspen die Gräntze, wie weit sie sollen ihre Trifft und Hütung haben aus- und angewiesen worden – und ist der Anfang gemacht zu Rotzsch an einem Stummel von wildem Birnbaum -, von dar wendet es sich auf die linke Hand an Düsischen Acker und gleich über etzliche Stücke, da es wieder zur rechten Hand lauft, da fänget sich ein ziemlicher breiter Graseweg, so die Piepirische (Pichorische?) und Düsensche Marke scheiden, an und gerade auf naher Klein Mühlingischen Acker und dann wieder zur rechten Hand bis an die Zeitzische Breiten, von dar wendet es sich wieder zur rechten Hand bis an die Zentzische Marke und so fort zur linken Hand gegen den Zeitzischen Busch bis zur selben Träncke und auf den Graseweg bis an der Wöspener Marke, ferner hinein nacher Barby und dann zu rechten Hand zwischen Zieprehne und Wöspen, worauff bald ein Graseweg kömpt, der auf den breiten Graseweg gehet, so von Wöspen nach Iritz läuft, und haben die Wöspener die Iritzer Tränke vor ihr Viehe sich zu gebrauchen, doch dass die Wöspener gedachte Tränke allemal mit räumen helfen müssen, und gehet dann so wieder vor Iritz vorbey bis an die Loche umb die Helle herumb bis wieder an gedachten Birnbaumschen Stummel. (A.Grafsch. Barby I, No. 426.)

Die Gemeinde hatte ihren eigenen böhmischen Prediger und dieser hielt zu Barby abwechselnd in der Stadt- und Johanniskirche bis 1680 böhmische Gottesdienste. In diesen Jahre war die Kirche zu Wespen vollendet und wurde von dem Diaconus zu Barby und dem Prediger in Pömmelte mit verwaltet.

Mit Datum 20. Februar 1688 findet sich folgende Eintragung (Or.): „Herzog Heinrich von Sachsen-Barby gestattet den böhmischen Exulanten zu Wespen behufs Einrichtung ihrer Kirche eine Kollekte.“

Schon im Jahr 1702 gibt es wieder Streitigkeiten, diesmal mit den Mühlinger Bauern, welche den Wespenern die Schafe weggetrieben hatten.

Ein Aktenstück von 1709 gibt die Erlaubnis zum Windmühlenbau und 1716 wird im Verzeichnis auch schon eine Schänke aufgeführt. 1728 haben sich schon 10 Häuser in Wespen angesiedelt. Um diese Zeit wurden die Gehöfte nummeriert.

Seit dem Jahre 1721 aber bekam die Gemeinde ihren eigene Pfarrer, indem der Rektor an der Stadtschule in Barby ordiniert und das Pastorat zu Wespen auf immer mit diesem Amte verbunden wurde. So blieb es bis 1858.

Am 12. April 1761 ist Konrad Lucke, Dragoner im Glasenapochen Regiment, mit Jungfer Klara Arnold copuliert (getraut) worden.

Im Jahre 1682 richteten die Wespener ein Gesuch an Amt Barby um Erlass der Steuer. Schon vorher hatte es verschiedene Unglücksjahre gegeben, so Misswachs 1778 und Missernte 1780. Im letzten Jahre erfolgte eine Besichtigung, welche ergab, dass nur das zweite Korn geerntet wäre. Im Jahre 1782 war wieder eine Missernte, wieder erfolgte ein Gesuch, um Erlass der Steuern. Es erfolgte nun am 13. Februar 1783 eine Besichtigung, hierbei wurde festgestellt, dass sämtliche hiesigen Einwohner sich in schlechten Vermögensverhältnissen befinden außer dem Richter Krause und dessen Bruder. Die wenigsten haben Pachtgetreide erschüttet. Schon im Jahre 1784 war wieder eine große Überschwemmung, herbeigerufen durch Eisversetzungen. Der Dammbruch erfolgte am 2. März oberhalb vor Tornitz. Wespen wurde ganz unter Wasser gesetzt. Von Barby aus wurden Kähne nach Wespen gesandt um Menschen und Vieh zu retten, es wurde nach Zeitz gebracht. Auch 1785 brachte wieder Hochwasser. Das Jahr 1792 Hagelwetter. Im Jahre 1796 erfolgte wieder ein Gesuch der Wespener um Freijahre.

Nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt 1806 kommen die Franzosen am 22. Oktober auch nach Wespen. Es finden hier Plünderungen statt. Die Bauern, die den abziehenden Artteleristen Vorspann stellen müssen, beklagen den Verlust ihrer Pferde und Wagen. Über den Zug Napoleons nach Russland steht im Wespener Kirchenbuch folgende Eintragung:

Der am 15. Februar 1790 geb. Friedrich Christan Brahack, ist laut Verzeichnis der in dem Jahre 1812 vermißten königl. preußischen Untertanen des Reg. Bez. Magdeburg als Gemeiner im 5-ten Wästfälischen Infanterie – Regiments auf dem Marsche in Grasewel Gonverment Wologda gestorben.

Im Jahr 1810 bestand Wespen aus 38 Wohnhäusern mit 185 Einwohnern, einer Kirche, einem Krug (Wirtshaus) und einer Windmühle.


Quellen

[1] Pescheck, C. A. (1857). Die böhmischen Exulanten in Sachsen. Leipzig: Hirzel. S. 18